"Biete mir etwas an."
Ein Nachruf auf Rosa von Praunheim – einen Regisseur, der Schauspieler*innen forderte, förderte und Freiheit gab.
Von Thomas Melzer, ehemaliger Vermittler Film/Schauspiel bei der ZAV-Künstlervermittlung und Wegbegleiter.
Vertrauen in die eigene künstlerische Intuition
„Als mich die Nachricht vom Tod von Rosa von Praunheim erreichte, war mein erster Gedanke nicht nur der Verlust eines außergewöhnlichen Regisseurs, sondern eines Menschen, der Schauspieler*innen etwas gegeben hat, was selten geworden ist: Echten Raum für Kreativität, Vertrauen in die eigene künstlerische Intuition – und die Freiheit, sich auszuprobieren.
Kennengelernt habe ich Rosa von Praunheim 2019 über den Schauspieler und Regisseur Marcus Lachmann, der als Ausstatter für Rosa gearbeitet hat. Nachdem Marcus mich bei Rosa für den Film „Darkroom-Tödliche Tropfen“ empfohlen hatte, meldete sich Rosa telefonisch bei mir und sendete mir das Drehbuch. Ich schickte ihm diverse Vorschläge für die offenen Rollen und wir trafen uns bei ihm zu Hause, um uns die Showreels meiner Vorschläge anzusehen. Die Zusammenarbeit klappte auf Anhieb, er fand praktisch alle Ideen passend, und lud die Betreffenden zu sich nach Haus zum Kennenlernen ein. Das war der Beginn einer engen und kontinuierlichen Zusammenarbeit.
Es folgten drei weitere Filme: „Rex Gildo-Der letzte Tanz“; „Dreissig Jahre an der Peitsche“ und „Satanische Sau“. Zwischen den Dreharbeiten bat Rosa immer wieder um Vorschläge für generell interessante Schauspieler:innen, die er meist an Sonntagnachmittagen zu Improvisationen zu seinen spontan verfassten Texten einlud.
‚Frag mich nicht, wie du es spielen sollst.‘
Schauspieler*innen haben ihn als jemanden erlebt, der sie nicht einengte, sondern herausforderte. Seine Haltung war klar: „Frag mich nicht, wie du es spielen sollst. Biete mir etwas an.“ Er suchte Schauspieler*innen mit Fantasie und Lust, eigene Ideen für ihre Figuren zu entwickeln. Improvisation war ausdrücklich erwünscht.
Als Vermittler habe ich die Schauspieler*innen gezielt darauf vorbereitet: Kommt mit einem Angebot. Zeigt, wie ihr die Figur seht und spielen wollt. Rosa liebte es, wenn sie mutig waren, Risiken eingingen und ihre Fantasie spielen ließen. Er gab dann ehrliches Feedback – manchmal direkt, aber immer konstruktiv.
Am Wochenende lud Rosa oft Schauspieler*innen zu sich ein. Er bereitete Szenen vor und ließ sie spielen, improvisieren, ausprobieren. Danach wurde gemeinsam gegessen und reflektiert. Diese Treffen waren künstlerische Begegnungen und Förderung. Kein Wunder also, dass so viele immer gerne mit ihm gearbeitet haben.
Tabubrecher, Provokateur – und trotzdem verbindend
Rosa war ein Tabubrecher aus Überzeugung. Provokation gehörte zu seiner Kunst. Queere Themen waren ihm eine Herzensangelegenheit, gleichzeitig spielten auch viele Schauspieler*innen außerhalb der Community gerne in seinen Filmen – aus Neugier, Haltung und Lust auf ungewöhnliche Stoffe.
Seine Budgets waren klein, die Gagen überschaubar. Das wussten alle. Trotzdem war die Motivation groß. Die Rollen waren besonders, seine Filme hatten Kultcharakter und boten Sichtbarkeit. Der Schauspieler Walter Kreye sagte mal zu mir ‚Eine Rolle in Rosas Film würde ich auch ohne Gage spielen.‘ Für viele Schauspieler*innen waren es prägende Stationen ihrer Vita und boten Sichtbarkeit. Bei seinem letzten Film „Satanische Sau“ fanden sich sogar alle Beteiligten, recht überraschend, plötzlich auf der Berlinale 2025 wieder, als der Film einen „Teddy Award“ bekam.
Ein Ermöglicher fehlt
Rosa von Praunheim war sehr produktiv und genreübergreifend kreativ. Egal ob Film, Theater, Musical oder bildende Kunst, er arbeitete intuitiv und oft an mehreren Projekten gleichzeitig. Planung war für ihn zweitrangig, das Machen war entscheidend.
Wie prägend sein Einfluss auch auf Regiestudent*innen gewesen ist, kann man gerade in dem 2012 entstandenen Dokumentarfilm „Rosakinder“ verfolgen, der zur Zeit wieder in der ARD-Mediathek gezeigt wird. Darin erinnern sich Tom Tykwer, Axel Ranisch, Julia von Heinz, Chris Kraus und Robert Thalheim an den großen Einfluss, den Rosa von Praunheim auf ihr Filmschaffen gehabt hat. Zum Teil hatten sie bei ihm studiert, als er von 1999 bis 2006 Professor für Regie an der Filmuniversität in Babelsberg war.
Sein Tod hinterlässt eine Lücke, besonders für Schauspieler*innen, die in seiner Arbeit Freiheit, Förderung und echte künstlerische Begegnung erlebt haben. Was bleibt, sind seine Filme, seine Stücke – und viele tolle schauspielerische Leistungen, die durch ihn eine Bühne erhalten haben.
Vorschaubild: Rosa von Praunheim auf der Berlinale 2019 | (c) IMAGO / snapshot.