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"Ich bin noch lange nicht fertig."

Die Schauspielerin Judy Winter ist mit dem diesjährigen Götz-George-Preis für ihr Lebenswerk geehrt worden. Ein Gespräch über mehr als sechzig Jahre Theater, Film und Synchronarbeit, Begegnungen mit Hollywoodstars - und darüber, warum ältere Frauen in Deutschland noch immer zu wenige Rollen bekommen.

In ihrer Wohnung in Berlin hängt die Geschichte ihres Lebens an den Wänden: Fotos, die sie zusammen mit anderen Stars aus Film und Theater zeigen, ein Schwarz-Weiß-Portrait von ihr als Marlene Dietrich, die sie viele Jahre auf der Bühne verkörpert hat und viele Aufnahmen mit Freunden und Familie. Dazwischen stehen auf einer Anrichte Preise und Auszeichnungen – für ihre Arbeit am Theater, im Film und auch als Synchronsprecherin.

Wenn man hier steht, könnte man denken, das ist eine Galerie Ihres Lebens. Und jetzt ist noch ein Preis dazugekommen – der Götz-George-Preis für Ihr Lebenswerk. Wie fühlt sich das an?

Judy Winter: „Lebenswerk klingt so endgültig. Zurückblicken heißt ja, man hat etwas beendet – und fertig bin ich noch lange nicht. Ich denke gar nicht daran. Ich drehe weiter, zum Beispiel ‚Die Bundschuhs‘ oder ‚Letzte Ausfahrt Glück‘. Aber natürlich ist es schön, gewürdigt zu werden. Es ist eine Art liebevolle Anerkennung."

Ist Ihr Leben in den letzten Jahren etwas ruhiger geworden?

Judy Winter. "Ja, das stimmt. Früher war ich gewohnt, nur kurze Mittagspausen zu haben. Jetzt genieße ich die freie Zeit, treffe Freunde, verbringe Zeit mit meiner Familie. Aber ich arbeite weiterhin – neben den Dreharbeiten auch als Synchronsprecherin. Allerdings sind auch diese Angebote weniger geworden, denn Schauspielerinnen, die ich seit Jahrzehnten spreche - wie Vanessa Redgrave, Bette Midler, Jane Fonda, Shirley MacLaine – drehen ebenfalls seltener."

Haben Sie eine der Hollywoodlegenden einmal persönlich getroffen?

Judy Winter: "Nur Shirley MacLaine. Das war traumhaft. Ich wollte sie unbedingt kennenlernen. Als sie in Deutschland ihren Film vorgestellt hat, habe ich eine Journalistin gefragt, in welchem Hotel sie wohnt, und bin einfach hingefahren. Sie hatte rechts und links eine Suite, war in Interviews eingespannt – und ich stand plötzlich da: ‚My name is Judy Winter, and I am your German voice.‘ Sie schaute mich an, und es war, als würden wir uns schon ewig kennen. Sie meinte: ‚I know your voice – I heard it.‘ Wir haben eine halbe Stunde im Flur gestanden, geredet, gelacht. Diese Nähe war etwas ganz Besonderes.“

Wie bereiten Sie sich auf Synchronrollen vor?

Judy Winter: "Ich muss mich selbst komplett zurücknehmen. Ich kann da nicht Judy Winter sein. Zur Vorbereitung höre und sehe ich mir das Original mehrmals an und versuche die Figur zu verstehen, aber auch die Schauspielerin, die sie spielt. Die schauspielerische Leistung kann allein über die Stimme vermittelt werden, im Gegensatz zum Film, wo Mimik und Gestik zur Verfügung stehen."

Gab es Rollen, die Sie gern selbst gespielt hätten?

Judy Winter: Natürlich! ‚Das Schwiegermonster‘ zum Beispiel – Jane Fonda war großartig. Die Rolle war vielschichtig und ungewöhnlich für sie - es gab ihr die Möglichkeit andere Facetten ihrer Schauspielkunst zu zeigen. Bald kommt Teil zwei, und ich werde sie wieder synchronisieren. Ich freue mich sehr darauf – als würde man eine alte Freundin wiedertreffen.

Und natürlich die weibliche Hauptrolle in ‚Szenen einer Ehe‘ – für die Synchronisation von Liv Ullmann bekam ich die Goldene Kamera. Eine großartig geschriebene, vielschichtige Figur, die man nur selten findet.

Ihre Anfänge liegen weit zurück. Sie haben eigentlich als Tänzerin begonnen.

Judy Winter: "Ja, ich habe eine klassische Ballettausbildung. Aber man sagte mir mit 13, ich sei zu groß – ich würde keinen Partner finden (lacht leise). Das ist zum Glück heute offener. Dann habe ich mich in einen Schauspieler verliebt. Ich war Elevin in Heidelberg, er war am Theater engagiert. Ich dachte: ‚Wenn ich Schauspielerin werde, stehe ich vielleicht einmal mit ihm auf der Bühne.‘ Also ging ich mit Feuer und Flamme an die Schauspielschule in Stuttgart. Mit 17 bekam ich meine erste Rolle am Theater. Ich habe den Schauspieler nie wieder gesehen – aber es war der Anfang von allem.

"Solange ich kann, höre ich nicht auf. Ich glaube fest daran, dass Kunst immer auch Verantwortung bedeutet – und dass ich als Schauspielerin die Aufgabe habe, mit Geschichten Mut zu machen."

Es wird immer wieder darüber gesprochen, dass es nicht genug interessante Rollen für ältere Frauen gibt.

Judy Winter: „Ja, leider. Im Fernsehen sieht man meist Großmütter, Nachbarinnen oder Hausverwalterinnen. Spannende Figuren, die komplex, witzig, leidenschaftlich sind – eher selten. International ist das anders: Helen Mirren, Judi Dench, Jane Fonda – sie besetzen Rollen jenseits von Klischees. Helen Mirren etwa spielt Actionrollen. Sie ist offen, alterslos, uneitel – traumhaft. Das würde ich mir auch hier wünschen.

Einige Schauspielerinnen wechseln hinter die Kamera, um spannende Frauenrollen zu ermöglichen. Haben Sie darüber nachgedacht, selbst Regie zu führen?

Judy Winter: "Ja. Mit meinem Sohn Francis habe ich zusammengearbeitet. Aber mehr Lust habe ich, zu unterrichten, meine Erfahrung weiterzugeben. Ich möchte jüngere Schauspielerinnen und Schauspieler dabei unterstützen, die Figur wirklich zu begreifen. Dabei geht es immer um den Menschen hinter der Rolle – manchmal auch um schwierige, unsympathische Figuren. Diese Differenziertheit macht es spannend."

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Judy Winter: "Ich will weiterarbeiten, spannende Rollen spielen, Geschichten erzählen, die berühren oder aufklären. Themen wie AIDS, die leider ein bisschen verdrängt wurden, sollen wieder sichtbar werden. Solange ich kann, höre ich nicht auf. Ich glaube fest daran, dass Kunst immer auch Verantwortung bedeutet – und dass ich als Schauspielerin die Aufgabe habe, mit Geschichten Mut zu machen."

Liebe Judy Winter, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Jennifer Harre, Vermittlerin für Film / Schauspiel bei der ZAV-Künstlervermittlung in Berlin, die Judy Winter und viele andere Schauspieler*innen vertritt.

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