Die ZAV-Künstlervermittlung im Gespräch mit
Eva Hubert (Themis e.V.)

Eva Hubert ist die Vorständin der Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt e.V. Themis.

Eva Hubert Vorständin der Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt e.V. Themis. Eva Hubert, Vorständin der Themis | Quelle: Foto (c) Bina Engel

Liebe Frau Hubert, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen uns ein paar Fragen zu Themis, der Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt zu beantworten.
Wann ist Themis entstanden?

Im Zuge der durch #metoo aufkommenden Diskussionen in den USA wuchs auch hier in Deutschland in der Film-, TV und Theaterbranche die Erkenntnis, dass einerseits Grenzverletzungen keine Kavaliersdelikte sind und andererseits es sich dabei auch nicht nur um ein Problem Hollywoods handelte, sondern durchaus auch bei uns zu finden ist. Auf Initiative des Bundesverbands Schauspiel (BFFS) beschlossen im Mai 2018 17 Branchenverbände, Arbeitgeber*innen- und Arbeitnehmer*innenvertretungen aus der Kultur- und Medienbranche und verschiedene Sendeanstalten die Vertrauensstelle Themis zu gründen. In der Kulturbranche sind Beschäftigte besonderen Rahmenbedingungen ausgesetzt, die sexuelle Belästigungen und sexuelle Gewalt fördern. Es war Anliegen der Gründer*innen, Betroffenen eine betriebsunabhängige Stelle anzubieten, deren Berater*innen die spezifische Arbeitssituation an Theatern, in Orchestern und am Filmset kennen. Dank einer Anschubfinanzierung der Beauftragten für Kultur und Medien konnte Themis am 1.10.2018 die Arbeit aufnehmen. Seit Beginn dieses Jahres betreut Themis auch die Musikbranche.

Im Herbst nimmt in Österreich die Vertrauensstelle „Vera“ Ihre Arbeit auf. Gibt es daneben noch weitere Beispiele national/internationaler Angebote zu diesem Thema?
Und findet unter den verschiedenen Anlaufstellen ein Austausch statt?

Wir haben die Kolleginnen bei Vera umfangreich beraten und freuen uns auf die Zusammenarbeit, die sich natürlich erst noch einspielen, aber bestimmt von einem umfassenden Austausch geprägt sein wird. Ebenfalls in Österreich gibt es für die Filmbranche die Anlauf- und Beratungsstelle „we_do!“. Bislang gibt es noch keinen persönlichen Austausch, dies wollen wir aber zügig nachholen. Wir sind auch mit dem Schweizerischen Bühnenkünstlerverband SBKV in Kontakt. Dieser hat nach einer erschreckenden Studie aus dem Jahr 2020, nach der vier von fünf Schweizer Theaterschaffenden bereits mindestens einmal sexuell belästigt worden sind, eine anonyme Online-Beschwerdestelle eingerichtet. Das reicht als Angebot natürlich auf Dauer nicht, insbesondere wenn es zu schweren Straftaten und Traumatisierungen gekommen ist.

Welche Wege beschreitet Themis in seiner Öffentlichkeitsarbeit, um das Beratungsangebot Schauspieler*innen und Regisseur*innen gegenüber bekannter zu machen?

Wir arbeiten eng mit den Verbänden, den Arbeitnehmer*innenvertretungen aber auch mit einzelnen Sendern, Unternehmen und Theatern zusammen, um unser Angebot publik zu machen. Uns findet man zudem in den Sozialen Medien. Wir haben den Eindruck, insbesondere im Theaterbereich bereits eine weitgehende Bekanntheit erreicht zu haben. Der Bühnenverein hat von Anfang an intensiv auf das Angebot von Themis hingewiesen. Zusätzlich hat wohl auch die Berichterstattung über spektakuläre Fälle, in denen wir immer wieder vorkommen, dazu beigetragen. Aktuell bemühen wir uns, die Mitarbeitenden in der  Musikwirtschaft über das Angebot der Themis Vertrauensstelle zu informieren.

Auch an den Schauspielschulen – sowohl den Staatlichen als auch den Privaten, sind Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe ein Thema.
Ist das Themis-Angebot SchauspielerInnen in Ausbildung bekannt und wie läuft der Austausch mit den (Hoch)-Schulen? Falls nicht optimal, was könnte besser laufen?

Wir bemühen uns, auch an den Film- und Musikhochschulen und anderen Ausbildungsstätten Themis bekannter zu machen durch Vorträge und Hinweise auf unsere Präventions-Webinare für Berufsanfänger*innen. Mir ist klar, dass noch viel mehr nötig wäre, allerdings hat Themis auch eine sehr dünne Personaldecke. Für den Musikbereich hat die Beraterin ein umfangreiches Konzept zur Prävention entwickelt, das in der Ausbildung eingesetzt werden kann.

Machmissbrauch und sexuelle Übergriffe sind auch in Orchestern ein Thema.
Fühlt sich Themis auch für Orchestermusiker*innen zuständig?
Gibt es eine Vernetzung mit der DOV?

Über den Deutschen Bühnenverein sind die Orchester von Anfang an dabei, allerdings haben sich aus diesem Bereich bislang relativ wenig Betroffene gemeldet. Ich hoffe, dass durch die Aufklärungsarbeit an den Musikhochschulen und ein gutes Netzwerk der freiberuflichen Musikschaffenden Themis auch in den Orchestern bekannter wird. Unsere geschäftsführende Justiziarin war in diesem Jahr beim Deutschen Orchestertag auf einem Podium vertreten und hat hier erste Kontakte zur DOV knüpfen können, die wir gerne weiter vertiefen würden.

Im Austausch unter Kollegen*innen am Theater stößt man noch gelegentlich auf die Ansicht, dass es sich bei sexueller Belästigung um eine Art Introduktionsritual handele, solange eine bestimmte Grenze nicht überschritten wird.
Was entgegnen Sie solchen Statements?

Die Würde des Menschen ist unantastbar – Punkt. Auch nicht von der Kunst. Wobei ja niemals die Kunst verlangt, Grenzen zu verletzen. Es sind die Menschen, die ihre Macht missbrauchen. Es geht in solchen Fällen in Wirklichkeit nie um Kunst oder ein höheres gemeinsames Ziel, sondern in aller Regel um missbräuchliche Selbstvergewisserung von Macht und Stärke über andere.  

Hat sich seit der Gründung von Themis schon etwas in der Branche verändert?

Ja, das hat es. Nicht nur, weil es die Themis gibt, sondern weil #meetoo und andere ähnlich gelagerte Debatten auch dazu geführt haben, sich der bestehenden Probleme bewusster zu werden. Es gibt dennoch, viel - viel zu viel - zu tun. Wir sind noch weit entfernt von einem Kulturwandel. Denn wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, als sei es ein Thema alter weißer Männer, die inzwischen im Knast oder tot sind. Machtmissbrauch, auch sexuell konnotierter, kommt durchaus auch in progressiven Häusern mit vermeintlich flachen Hierarchien vor.

Die antike Göttin Themis kannte die Zukunft.
Wie sehen Sie die Zukunft von Themis?
Gibt es die Chance, dass die Theater und Film-/ Fernsehproduktionen irgendwann keinen Nährboden für sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch mehr bieten?

Die Kulturbranche ist Teil der Gesellschaft und prinzipiell nicht besser, aber auch nicht schlechter als sie. Insofern werden wir in der Branche, wie eben auch in der gesamten Gesellschaft, noch auf absehbare Zeit sexuelle Belästigungen und Gewalt erleben. Wir wollen einen Beitrag leisten, den Betroffenen aus der Kulturbranche die Hilfe und Unterstützung zu geben, die sie benötigen und darüber hinaus mit unseren Seminar- und Webinar-Angeboten zur Prävention Institutionen, Kultureinrichtungen und Unternehmen in die Lage versetzen, ein so weit wie möglich missbrauchsfreies Arbeitsumfeld zu schaffen.

Liebe Frau Hubert, wir danken Ihnen sehr für dieses informative Gespräch.
Die ZAV-Künstlervermittlung weiß aus ihrer langjährigen Beratungstätigkeit von Missbrauch auf vielen Ebenen. Wir sind nun sehr froh darüber, dass es Ihre Anlaufstelle gibt und werden gerne auf Themis verweisen!

Themis - Vertrauenstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt e. V.

Erreichbarkeit Themis